"Verstaubte Texte" mit Leben erfüllt

Haiger, 08.06.2010.

500 begeisterte Zuschauer haben eine Neuauflage des "Sommernachtstraums" von William Shakespeare an der Johann-Textor-Schule Haiger gesehen. Bis auf den letzten Platz war die Aula bei beiden Aufführungen besetzt. Der Kurs "Darstellendes Spiel" der Jahrgangsstufe 10 unter der Leitung des Lehrers Thorsten Tobor hatte eingeladen und überzeugte mit seiner Interpretation,die die Zuschauer sofort in ihren Bann zog.
Dabei blieb der ursprüngliche Handlungsfaden zumgroßen Teil erhalten: Liebesverhältnisse in der Athener Hofgesellschaft werden zu Liebeswirren, weil die Natur, vertreten durch das Reich unsichtbarer Geister, Unruhe stiftet. Doch alles endet in einer glücklichen Hochzeitsfeier, bei der nur eine untalentierte Schauspielgruppe für Verwirrung sorgt.

06-08Einzig der Mangel an männlichen Schauspielern führte zu inhaltlichen Veränderungen, die jedoch geschickt "eingespielt" wurden. So wurden aus König und Königin der Elfen, die eigentlich einen Beziehungsstreit austragen, zwei streitende Schwestern: Titania, die Königin der Elfen, wundervoll zart gespielt von Michelle Szentik, und die Koboldkönigin Camilla, böse gezeichnet von Leonie Casimir. Und Camilla hat Puck, ein Koboldwesen, das sich hauptverantwortlich zeigt für all den Schabernack und alle Verwechslungen, die dem Publikum einen grandiosen Spaß bescherten. Jaqueline Tiffert spielte die Rolle des Puck großartig.

Puck äußert sich ausschließlich in Versform, weshalb genau das sehr deutlich zum Vorschein kam, was die gesamte Vorstellung auszeichnete: Der Kurs "Darstellendes Spiel" zeigte, wie man aus wunderschönen, aber leicht verstaubten Texten verständliche, originelle und sprachlich anspruchsvolle Texte zaubern kann. Genau so pendelten die verliebten Hermia,Helena, Lysander und Demetrius nicht nur inhaltlich zwischen Liebe und Hass, auch sprachlich durchliefen sie die unterschiedlichsten Formen und Stile ganz im Sinne Shakespeares.
Die von Puck verschuldeten Wirrungen der beiden jungen Männer (Janek Stiebing und Tim Dietermann) bewirkten bei ihren beiden Damen schließlich zusätzlich eine körperliche Zerrissenheit, die durch Anna Groos und Scarlett Mönch in ihrer hohen Intensität körperlichen Spiels jederzeit mitempfunden werden konnte. Zum Schluss bot die Herzogin von Athen (beeindruckend: Gina Pariti) den beiden zum Happy End ihre eigene Hochzeit zur gleichzeitigen Vermählung an.

Bleibt noch diese selten dämliche Theatergruppe, an diesem Abend allesamt Frauen, angeführt von Nikola Zettel (grandios: Lena Smith), die man während des Stücks immer wieder im Wald beim Proben für ein Theaterstück antrifft. Nur dass außer einer größenwahnsinnigen Nikola Zettel niemand zu wissen scheint, wie das funktioniert: Karla (Anna Bartsch) hat ja auch eigentlich keine Lust, Ingrid (Maike Jungwirth) steht sich sogar in ihrer Rolle als "Der Mond" mit ihrer Laterne selbst im Weg und Leni (Janina Johannessen) hat zu viel Angst. Die eigentliche Regisseurin Anna Squenz (Désirée Meinhardt) erscheint inkompetent, wenn sie glaubt, dass ausgerechnet die unsichere Köchin "Herzchen" (Hanna Mehrbrodt) einen Löwen spielen soll. Und so gerät die Aufführung zum Desaster, bei der selbst der Mond drei Anläufe braucht, um unterzugehen.

Im Gegensatz dazu die Theatertruppe der Johann-Textor-Schule: Nachdem sie schon im vergangenen Jahr die Zuschauer mit ihrem ernsten Holocaust-Drama "Anna die Lügnerin" nach Jurek Becker beeindruckten, zeigten sie in diesem Jahr endgültig, dass es auch heute noch gelingen kann, Schüler und Zuschauer in der Auseinandersetzungmit Kunst und Kultur zu begeistern. Eine herausragende Ensembleleistung, eine in Anbetracht des Alters der sechzehnjährigen Schüler nicht zu erwartende Schauspielkunst und ein unvergesslich heiterer und schöner Abend, wie die Pädagogische Leiterin der Schule, Anette Fritsch, in ihren Dankesworten würdigend feststellte.

(Haigerer Zeitung, 08.06.2010, Text: red.)