Die Darsteller sind durchweg talentiert, aber das ist nicht das, was die vier Künstler so besonders macht. Alle Mitglieder waren süchtig, haben aber den Ausstieg geschafft. Um Kinder und Jugendliche vor dem Sturz in die Suchtfalle zu schützen, sind die Schauspieler schon seit 11 Jahren mit ihrem Programm zur Suchtprävention unterwegs.
Das Theater hat dabei aber bewusst nichts mit der Vergangenheit der Mitglieder zu tun. "Wir nutzen das Theater lediglich, um vom Klischeebild eines Ex-Junkies wegzukommen", erklärt Siegrid Großkurth: "Wir öffnen damit quasi die Tür zu den Schülern, damit diese erst einmal begreifen, dass wir ganz normale Menschen sind, mit denen man ganz normal reden kann." Mit viel Humor brachen die Darsteller das Eis zwischen sich und den Jugendlichen. Den Focus setzten die Mitarbeiter des Vereins SiT (Selbsthilfe im Taunus) aber auf die Gesprächsgruppen im Anschluss. Hierbei zogen sich die Schüler mit jeweils einem Schauspieler zurück, die Lehrer diskutierten in einer eigenen Gruppe.
Die Textor-Schule bekämpft schon lange Drogen und Gewalt. Bereits 1998 wurde der Arbeitskreis "Sucht- und Gewaltprävention" gegründet, der unter der Leitung der pädagogischen Leiterin Anette Fritsch, des Elternbeirats-Vorsitzenden Martin Tetzner sowie des Vertrauenslehrers Jens Schröer steht. Ziele sind die Kontaktpflege mit außerschulischen Institutionen, themenbezogene Weiterbildungen der Mitglieder sowie langfristige schulische Veranstaltungen und die Organisation öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen.
"Es ist glücklicherweise nicht so, dass Sucht und Gewalt je in großem Ausmaß an unserer Schule eine Rolle gespielt hätten", erklärte Anette Fritsch im Gespräch mit unserer Zeitung: "Es handelt es sich um Präventivmaßnahmen, damit wir keine richtigen Probleme mit diesen Themen bekommen." Schon in der 5. Klasse gibt es daher erste Aktionen, die für ein friedliches Miteinander sorgen sollen.
Seit Jahren besteht auch der Kontakt zu "SiT". Die Künstler sind seit neun Jahren regelmäßig zu Gast an der Schule und unterhalten sich mit Zehntklässlern. Die Resonanz ist meist positiv: "Es ist schon krass, die Geschichte dieser Leute zu hören, da denkt man erstmal darüber nach, wovon man selbst abhängig ist", berichtete einer der jungen Zuschauer. Die Ziele der Veranstaltung sind für Siegrid Großkurth klar definiert: "Wir wollen die Jugendlichen vom Konsumdenken wegbringen, mit dem Theater wollen wir zeigen, wie man Spaß aus sich selbst heraus produzieren kann, viele junge Menschen haben das nie gelernt." Die Tatsache, dass alle Darsteller bei RequiSiT ehemalige Abhängige sind, sieht sie dabei als klaren Vorteil: "Natürlich sind wir um einiges glaubwürdiger als Moralapostel, das merken die Schüler und gehen mehr auf uns ein."
Aber was sind denn nun die richtigen Maßnahmen, um gegen Abhängigkeit vorzugehen? "Schon kleine Kinder müssen vom eigenen Elternhaus in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden, denn nur starke Persönlichkeiten können es schaffen, sich unabhängig zu machen", erklärt die ehemalige Süchtige. Zudem seien klare Regeln und Grenzen unabdingbar: "Natürlich ist die Tochter sauer, wenn sie um 10 Uhr nach Hause muss. Wenn man aber keine Grenzen gibt, fühlen sich die Kinder, als wären sie den Eltern egal." Auch die Lehrer führen viele Probleme auf die Elternhäuser zurück. "Wir kriegen hier an der Schule sozusagen schon ein fertiges Produkt geliefert", meint Walter Finger: "Oft haben wir keine Möglichkeit mehr, die Kinder großartig zu beeinflussen. Den Eltern fehlt oft die Kraft, ihre Kinder zu erziehen, daher müssen andere Institutionen greifen."
Genau das werde immer schwieriger durch den Rückzug staatlicher Subventionen. Durch solche Kürzungen scheint im Moment auch die Arbeit von RequiSiT gefährdet. Zwar wurde auch der Haigerer Auftritt unterstützt (unter anderem durch die Elternschaft), aber trotzdem spielt die Gruppe derzeit zu wenig ein. "Wir suchen einen festen Sponsor, der unsere Arbeit stärkt. Andernfalls werden wir diese Gruppe wohl nicht mehr allzu lange halten können." Zwar sind sich Lehrer und Mitarbeiter der SiT einig darin, dass die Anzahl von Abhängigen - ob Drogen oder zum Beispiel PC-Spiele - immer weiter steigen wird. Ein Grund, aufzugeben, ist dies für Siegrid Großkurth und ihre Freunde dennoch nicht: "Wegschauen ist das genaue Gegenteil von Suchtprävention!"
(Haiger Kurier, Text und Foto: fs, 28.03.2007).