Nationalistisches Gedankengut und rechte Gewalt sind in Deutschland selbst zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik immer noch ein leidiges Thema. Auch im Lahn-Dill-Kreis tun sich dabei immer wieder "Krisenherde" auf. So tauchten in den vergangen Jahren beispielsweise immer wieder Meldungen von NPD-Unterstützern auf, die auf regionalen Schulhöfen CDs und Broschüren mit rassistischen Botschaften verteilten. Nicht zuletzt deshalb setzen Pädagogen darauf, den Nachwuchs über die deutsche Vergangenheit zu informieren und die brutalen Verbrechen in der Nazi-Zeit bekannt zu machen.
Diese Aufklärung war eines der Ziele des Wahlpflichtkurses Musik der zehnten Realschul- und Gymnasialklassen der Johann-Textor-Schule. In ihrem Musical wollten sie das Leben von Anne Frank - einem der bekanntesten Opfer der Nazis - beleuchten. "Das Ziel aller schulischen Bildung ist es, eine Wiederholung der Dinge, die in Auschwitz und anderen KZs geschehen sind, in der Zukunft zu verhindern", erklärte Leiter und Initiator des Stückes, Musiklehrer Jürgen Poggel.
Die Schüler präsentierten sehr professionell das in der "Icker Musicalwerkstatt" von Jugendlichen für Jugendliche verfasste Stück. Die Professionalität galt dabei sowohl auf, als auch hinter der Bühne. Aus dem Wahlpflichtkurs Musik - mit dem die meisten wohl einen Schülerchor verbinden würden - hat sich in den letzten Jahren ein vielfältiges Konstrukt aus Sängern, Musikern, aber auch Beleuchtungs- und Tontechnikern entwickelt.
Der Inhalt stellte einen gekonnten Bezug von der Gegenwart zur Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs dar: Nachdem ein paar Jugendliche eine Hakenkreuz-Schmiererei entdecken, stellt sich heraus, dass sie völlig unterschiedliche Meinungen (und Kenntnisse) über das Dritte Reich haben. Da niemand aber so wirklich weiß, was damals passiert ist, fangen sie an, sich mit der Geschichte von Anne Frank zu beschäftigen. Frank - die am 12. Juni 2009 80 Jahre alt geworden wäre - berichtete in ihrem Tagebuch einer Freundin (Spitzname "Kitty") von ihrer Zeit während der Judenverfolgung.
Gekonnt stellte Christine Müller die junge Anne Frank dar, die als sehr durchsetzungsstark galt. Glaubhaft vermittelten die Schüler die Fassungslosigkeit der Juden auf der einen und die plötzliche Feindseligkeit der ehemaligen Freunde auf der anderen Seite. Mit Liedern wurden Stimmung und Handlung immer wiederauf einen Punkt gebracht. Die von Jugendlichen verfassten Texte hatte dabei eine fast schmerzende Deutlichkeit. Mit Zeilen wie "Ausländer raus, "Kranke raus [...] wir schmeißen alle raus, die uns stören!" brachten die Texte die Skrupellosigkeit der damaligen Zeit auf den Punkt.
Auch der traurige Tod Anne Franks im KZ Bergen-Belsen - eine Woche vor der Befreiung durch die Alliierten - wurde behandelt. Dieser Aspekt war auch emotional ein Höhepunkt des Abends. Schon während des Stückes war unter den Gästen die Betroffenheit über die Geschichte der jungen Jüdin erkennbar, die im Finale fast unerträglich wurde. Viele Besucher kehrten äußerst nachdenklich nach Hause zurück.
Direktor Dr. Gerald Lohwasser hatte schon vor Beginn der Aufführung erklärt, "aus Respekt vor der Geschichte" werde eine Danksagung an die Schauspieler und anderen Mitwirkenden am nächsten Tag nachgeholt: "Alles andere wäre respektlos." Jürgen Poggel schloss sich dieser Aussage an: "Das Stück klingt ruhig aus, und alle sollten daran denken, dass - wenn sie klatschen - dies der Leistung der Schüler gilt und nicht den Geschehnissen vor rund 60 Jahren."
(Haigerer Kurier, 30.05.2009, Text und Foto: Frank Schmidt)