"Natürlich ist es unsere Aufgabe, Wissen zu vermitteln. Wichtiger ist es aber, die jungen Menschen auf das Leben vorzubereiten und ihnen beim Übergang ins Berufsleben zu helfen", erklärt Schüler. Er ist überzeugt, dass viel mehr Hauptschüler das Zeug hätten, ohne Umwege über weiter qualifizierende Schulen in eine Ausbildungsstelle zu wechseln. Viele trauen sich nicht, haben riesigen Respekt vor einer Bewerbung oder denken - oft fälschlicherweise -, dass für Hauptschüler auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen bestehen. "Der Bedarf bei den Betrieben ist da und wird in Zukunft sogar noch steigen", ist Sascha Großer überzeugt. Wer handwerkliche Fähigkeiten hat, hat durchaus gute Chancen. "Maurer, Schreiner, Maler, Schlosser oder Zimmermann kann man auch mit einem guten Hauptschulabschluss werden. Auch in der Gastronomie oder der Pflege werden Leute gebraucht."
Angesichts dieser Fakten hat sich die Textorschule entschieden, die Ausbildung in den Hauptschuljahrgängen sieben bis neun wesentlich praxisorientierter zu gestalten und dazu die Industrie und das Handwerk mit ins Boot zu holen. Durch eine enge Zusammenarbeit mit Handwerksmeistern oder Ausbildungsleitern soll mehr "echtes Berufsleben" in die Schule kommen - dadurch entsteht der angenehme Nebeneffekt, dass die Schüler Berufe und Firmen kennen lernen, während auch die Vertreter der Firmen Kontakt zu den potenziellen "Azubis" knüpfen können. Außerdem hoffen die Haigerer Pädagogen, den Schülern Inhalte besser vermitteln zu können, wenn sie mit Praxisthemen verknüpft werden können. Dass Mathematik wichtig ist, lernt man, wenn man ausrechnen muss, wie viele Quadratmeter Dachpappe benötigt werden, wenn ein Dach damit eingedeckt werden soll.
"Die Firmen hoffen auf vorgebildete Leute und sind bereit, uns bei der Qualifizierung der Hauptschüler zu helfen", erklärt Alexander Schüler. Die Resonanz auf die jährlichen Schulpraktika sei durchweg positiv - mit dem neuen Konzept solle daran angeknüpft werden, da "persönliche Kontakte bei Bewerbungen sehr wichtig sind", wie Großer erkannt hat.
Das neue Konzept ist vom Lehrplan abgedeckt. Die Textorschule freut sich, dass die Idee in Industrie und Handwerk sehr gut ankommt. Nach intensiven Gesprächen haben 27 Firmen wie zum Beispiel Cloos, Klingspor, VW Thielmann, Fuhrländer, Kühne und Nagel, Klonk, die Stadtwerke, Hotel Reuter, Bacco, Kretz, OBI oder Linde & Wiemann ihre Mitarbeit versprochen. Die Schule hofft, dass das neue Miteinander das "Wir-Gefühl" zwischen den Unternehmen oder Handwerksbetrieben sowie der Schule - bzw. den Schülern - verbessert.
Im siebten Schuljahr der Hauptschule soll künftig noch der theoretische Anteil überwiegen. Aber auch hier lernen die Teenager bereits einige der rund 300 Haigerer Betriebe kennen und erfahren in Vorträgen viel über die Arbeitsplätze in der Region. Ein Jahr später finden halbjährlich wechselnd spezielle Kurse statt, die die Jugendlichen auf spezifische Berufsgruppen vorbereiten. Diese werden von Fachleuten in Verbindung mit Lehrern geleitet. Im Zuge dieser praktischen Angebote stehen auch Projekte auf dem Plan, in denen mit Hammer, Säge und anderen Werkzeugen gearbeitet werden muss. Im neunten Schuljahr wird die Intensität noch einmal gesteigert, dann läuft der Vorbereitungskurs über das ganze Schuljahr. "Ziel ist es, dass sich Schüler und Firmen richtig gut kennen lernen", blickt Alexander Schüler nach vorn. Die Teenager können Fachbereiche wählen, die sie interessieren oder in denen sie besondere Fähigkeiten haben.
Wenn das Konzept aufgeht, wie es sich die Pädagogen wünschen, dann haben Schüler und Firmen viele Vorteile. "Unser Unterricht soll nicht 'verkopft' sein, sondern sich an der Praxis orientieren", erklärt Sascha Großer. Die Pädagogen werden unterstützt von der Arbeitsagentur (Arge), der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, dem Jugendberufshilfewerk des Lahn-Dill-Kreises und der Sozialarbeit an der Johann-Textor-Schule (Caritas).
Der offizielle Startschuss für das Hauptschulkonzept fällt im Herbst mit einer Auftaktveranstaltung, zu der Dr. Martin Pott (Geschäftsführer der Handwerkskammer Wiesbaden), der Unternehmer Joachim Fuhrländer (Windkraftanlagen Waigandshain) sowie weitere hochkarätige Referenten erwartet werden.
Die Johann-Textor-Schule hofft auf weitere Unterstützer. "Wir arbeiten mit vielen Firmen zusammen, aber es gibt noch einige Lücken", erklärt Alexander Schüler. Ehemalige Handwerksmeister oder sachkundige Bürger, die sich vorstellen könnten, mit den Teenagern zusammen zu arbeiten, werden gebeten, sich in der Schule zu melden. "Wir können noch viele Praktiker brauchen, die unseren Schülern Inhalte aus dem Berufsleben vermitteln, das können wir Lehrer nur bedingt leisten", blickt Schüler nach vorn. Gebraucht werden zum Beispiel Maurer, Fliesenleger, Maler oder Installateure.
Kontakt: Johann-Textor-Schule Haiger, Alexander Schüler/Sascha Großer, Tel. 02773/3054, Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
(Haiger Kurier , 2. Juli 2009, Text: rst, Foto: Archiv.)