StartArchivArchiv 2009"Ballerspiele" und Gewalt in Medien

"Ballerspiele" und Gewalt in Medien

Über die in diesem Spiel dargestellte Gewalt würden Behörden, Eltern und vor allem die Kinder heute - angesichts realistisch wirkender aktueller Ballerspiele - herzlich lachen. Die Medien- und Spielewelt hat sich gewaltig gewandelt. Immer bessere grafische Darstellungen und Spiele, in denen Menschen erschossen oder verprügelt werden können, rücken zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit. Besonders nach Amok-Läufen wie dem von Winnenden im Frühjahr dieses Jahres.

Thomas Graf, Medienpädagoge beim Landkreis Marburg-Biedenkopf, war am Dienstagabend auf Einladung des Arbeitskreises Sucht- und Gewaltprävention an der Haigerer-Johann-Textor-Schule zu Gast und referierte vor rund 40 Gästen zu dem Thema "Entertainment als Killerspiel - Medien und ihre Wirkung auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen". Dabei bewertete Graf die Gewaltdarstellungen in Videospielen, Internet und im Fernsehen. Seine These: "Killerspiele" und ähnliche Angebote allein machen keinen "Killer". Die meisten durch Gewalttaten auffällig werdenden Menschen hätten meist große Defizite im sozialen Bereich.

Graf ging in seinem Referat der Frage nach, ob Gewalt in den Medien Ursache für eine höhere Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen sein kann. Kritik erntete dabei zunächst die freiwillige Selbstkontrolle der Videospiel- und Filmindustrie (USK und FSK). Spiele wie das Online-Strategiespiel "World of Warcraft" seien zwar ab zwölf Jahren freigegeben: "Aber sie sind eigentlich nicht für dieses Alter geeignet, da ein hoher Zeitaufwand notwendig ist, um sich mit dem Spiel richtig zu beschäftigen." Auch die Literaturverfilmung "Herr der Ringe" könne von Zwölfjährigen problemlos angeschaut werden, erkläre die Freiwillige Selbstkontrolle. "Das ist völlig unverständlich, wenn man sieht, wie viele Köpfe in der Trilogie rollen", monierte Graf.

Doch auch wenn die Altersfreigabe erhöht werde, sei das für Jugendliche kein Grund auf den Konsum solcher Filme oder, Computerspiele zu verzichten. "Jugendliche empfinden die Diskussion über Altersfreigaben als Diskussion unter Erwachsenen", berichtete Graf. Bei der Entscheidung, ob sie selbst einen Film anschauen wollen, spiele die FSK-Freigabe keine Rolle.

Kinder und Jugendliche werden nicht durch Killerspiele gewalttätig", stellte Medienpädagoge Thomas Graf am Dienstagabend in der Johann-Textor-Schule fest. In seinem Vortrag ging es nicht nur um elektronische Medien, sondern zum Beispiel auch um die Berichterstattung der "BILD"-Zeitung nach dem Amoklauf in Winnenden.Auch auf Videoplattformen wie "Youtube" werde Gewalt gezeigt, die für Jugendliche frei zugänglich sei. Thomas Graf belegte diese Aussage mit dem Video von Nede Soltan, die im Zuge der Demonstrationen in Teheran auf offener Straße von iranischen Behörden erschossen worden war. Die Bilder der sterbenden Frau gingen um die Welt und wurden auch von renommierten Nachrichtensendungen gezeigt. Obwohl deren Quelle nicht klar gewesen sei, wie Graf kritisiert. Die "Tagesschau" brauche diese Bilder, "weil sie ist in erster Linie zur Unterhaltung da ist und erst danach Informationen vermitteln will", sagte Graf. Diese Erkenntnis habe er in Gesprächen mit einem früheren Intendanten des Westdeutschen Rundfunks (WDR) gewonnen.

Jugendliche seien empfänglich für solche Bilder und Darstellungen, jedoch seien diese nicht Ursache eines gewaltbereiten Charakters. Auffällig sei, dass Intensivtäter - die fünf Prozent eines Jahrgangs ausmachen und über 50 Prozent der Straftaten im schweren und mittelschweren Bereich begehen - meist in einem schwierigen Umfeld leben. Graf: "Oft sind die familiären Strukturen zerrüttet oder es ist keine ausreichende Bindung zur Familie vorhanden." Auch das soziale Umfeld sei entscheidend. Bei Kindern, die über längere Zeit ein auffälliges Verhalten zeigten, sei die Gefahr groß, dass sie zu einem Intensivtäter zu werden. "Experten erkennen spätere Intensivtäter bereits im Kindergarten", sagte Graf.

Wenn stabile Freundschaften fehlten, könnten brutale Videospiele die bereits vorhandene Gewaltbereitschaft verstärken. "Aber Kinder und Jugendliche werden nicht durch Killerspiele gewalttätig", fasste der Referent zusammen.

Im Anschluss an den detaillierten Vortrag konnten die rund 40 Zuhörer - hauptsächlich Lehrer und Eltern - noch Fragen stellen, die Thomas Graf beantwortete.

(Haigerer Kurier, 30.10.2009, Text und Foto: mg.)

Zum Anfang