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Zeitreise ins Mittelalter

Haiger, 27.03.2015.

"Mann, geht das schwer", stöhnt die zierliche Sechstklässlerin. Und in der Tat: Das Erstellen eines Drucks mit der historischen Gutenberg-Presse ist gar nicht so leicht wie sich die Mädchen und Jungen das vorgestellt haben. "Hier wirken Kräfte von etwa 500 Kilo", weiß Bernd Schlawer, der zahlreichen Klassen der Johann-Textor-Schule aus Haiger die Maschine erklärt und viele Fragen rund um den Druck, das Mittelalter und die Bibel beantwortet.

Gutenbergpresse an der Johann-Textor-Schule"Das war echt interessant", lobt eine Schülerin die Zeitreise ins Mittelalter, und auch Lehrerin Stefanie Oerter von der Klasse 6F2 zeigt sich begeistert: "Es ist erstaunlich, wie man Kinder heutzutage mit technischen Themen mitreißen kann." Sie ist ebenso wie ihre Kollegin Sabine Graben, die Schlawers Besuch in Haiger organisiert hat, überzeugt von der lebendigen Geschichts-Darstellung. Und dazu trägt nicht nur Schlawers originelles Gutenberg-Kostüm bei.

Der Experte aus Eschede ist seit 15 Jahren mit der Druckerpresse unterwegs und hat vermutlich jede Frage schon einmal gehört. Deshalb kann er locker plaudernd erklären, dass die Farbe in Gutenbergs Tagen mit einem Stempel auf die Druckplatten aufgetragen wurde, der aus Hundeleder gefertigt ist - was einen Sechstklässler zur Frage veranlasst, ob es "damals noch keinen Tierschutz gab".

Um 1450 waren die Experimente von "Johannes Gensfleisch zur Laden" (genannt Gutenberg) so weit fortgeschritten, dass er mit dem Druck einzelner Blätter beginnen konnte. Die Presse, Metalllegierungen und die Typen stellte der um 1400 in Mainz geborene Patriziersohn selbst her.
Zwischen 1452 und 1455 entstand in Gutenbergs Werkstatt das erste Buch: Eine Bibel in lateinischer Sprache. Sie wurde rund 180 Mal gedruckt und kostete 60 Gulden, was heute einer Kaufkraft von etwa 35 000 Euro entsprechen würde.

Schlawer berichtet von riesigen Bibeln, die in der Kirche festgekettet waren, und anderen Bibeln, die die Christen in einem Beutel ständig mit sich herum trugen. Anschließend erklärt er die Funktionsweise der ersten Spindelpresse, deren Funktion sich Gutenberg bei den Weinbauern "abgeguckt" hatte. Wesentliches Element waren die beweglichen Metalllettern, die in Europa eine Medienrevolution auslösen sollten.

Der riesige Erfolg der Erfindung hing eng mit dem Reformator Martin Luther zusammen, der rund 80 Jahre nach Gutenberg geboren wurde. Luther übersetzte die Heilige Schrift in die deutsche Sprache, um sie auch den "kleinen Leuten" zugänglich zu machen.

Auch auf Luthers Theologie geht Bernd Schlawer ein und berichtet von den im Mittelalter bekannten "Ablassbriefen", nicht ohne ein bekanntes Gedicht zu zitieren: "Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt." Das sei aber "unfair armen Leuten gegenüber", meint ein Sechstklässler - der Luthers Erkenntnisse ohne viele Worte verstanden hat. "Das ist das Zentrum des Evangeliums - dass wir Gottes Gnade nicht kaufen müssen" erklärt "Drucker" Schlawer.

Interessante Information am Rande: 1999, über 500 Jahre nach seinem Tod, wurde der Mainzer Johannes Gutenberg zum "Mann des Jahrtausends" gekürt. Zu Lebzeiten war er weniger erfolgreich - und reich schon gar nicht. Der Erfinder des Buchdrucks starb finanziell ruiniert und vergessen im Jahr 1468.

(Mit freundlicher Genehmigung des Haigerer Kuriers, Text und Foto: Ralf Stefan Triesch.)

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